Am letzten Schultag vor den Weihnachtsferien feierte unsere Schule gemeinsam in der katholischen Kirche eine ökumenische Andacht.
Herr Kern erzählte das Weihnachtsmärchen von Varenka, Pfarrer Grießbach begleitete die bekannten Lieder mit Gitarre.
Vor langer Zeit lebte in den weiten Wäldern Rußlands eine Witwe. Sie hieß
Varenka. Ihr kleines Haus stand tief in den Bäumen, wo selten jemand
hinkam. Varenka hatte alles, was sie brauchte: einen Tisch, Stühle,
Kästen für Brot und Käse und Geschirr. Nachts schlief sie, wie alle
einfachen Leute in Rußland, auf dem warmen Ofen.
Varenka lebte zufrieden in ihrem kleinen Haus. Doch eines Tages kamen
Leute zu ihr. In großer Aufregung riefen sie: „Varenka, fliehe mit uns! Im
Westen wütet ein schrecklicher Krieg. Die Soldaten kommen jeden Tag
näher!“ Varenka erschrak. Aber dann sagte sie: „Wer wird die müden
Wanderer stärken, wenn ich mit euch komme? Wer nimmt sich der Kinder
an, die sich im Wald verirren? Und wer wird sich um die Tiere und Vögel
kümmern, wenn der Winter kommt mit Eis und Schnee? Nein, ich muss
bleiben!“ Da eilten die Leute weiter und Varenka blieb allein zurück.
Sie stand ganz still und lauschte. Als Varenka aus der Ferne das Donnern
der Kanonen hörte, kniete sie nieder und bat Gott, um ihr Haus eine
Mauer zu bauen. – Es wurde Abend. Die Kanonen verstummten und Friede
lag über dem Wald. Aber Gott kam nicht, und niemand baute eine Mauer
um Varenkas Haus.
Am nächsten Tag pochte Pjotr, der Ziegenhirt, an Varenkas Tür. Pjotr
erzählte: „Die Soldaten haben meine Hütte niedergebrannt und mir alles
genommen, außer dieser kleinen Ziege, die mit mir fliehen konnte. Bitte
nimm uns in dein Haus, denn bald kommt die Nacht.“ Da nahm Varenka
Pjotr und die kleine Ziege ins Haus. Der Kanonendonner war schon viel
näher gekommen, und wieder betete Varenka zu Gott: „Bitte, komm
schnell und baue eine Mauer um mein Haus, damit die Soldaten
vorbeigehen und Pjotr, mich und die kleine Ziege nicht sehen werden!“
Aber die Nacht kam und ging, und Gott baute keine Mauer um Varenkas
Haus. Früh am Morgen ging Varenka in den Wald, um Kräuter zu
sammeln. Da entdeckte sie den jungen Maler Stjepan, der in einem
hohlen Baum schlief. „Wach auf!“ rief Varenka. „Hier kannst du nicht
bleiben! Hörst Du nicht die Kanonen donnern? Komm zu mir, ich werde Dir
Essen und Obdach geben.“ Stjepan war vor den Soldaten in den Wald
geflohen. Er trug nur ein Bild und ein Topf mit einer weißen Blume bei
sich. Dies war alles, was ihm auf der Flucht geblieben war. So ging er mit
Varenka nach Hause.
Abends beteten alle zusammen und Varenka sagte: „Bitte, lieber Gott,
komm schnell und baue eine Mauer um mein Haus!“ – Gegen Morgen
schaute Varenka aus dem Fenster, aber keine Mauer stand um ihr Haus.
Statt dessen erblickte sie ein kleines Mädchen, das bitterlich weinte. In
den Armen hielt sie eine Taube. „Ach“, schluchzte das Mädchen, „ich habe
Vater und Mutter auf der Flucht verloren!“ Da nahm Varenka das Mädchen
Bodula bei der Hand, führte sie ins Haus und gab ihr Kuchen und Tee.
Draußen aber klang das Donnern der Kanonen näher und näher.
In dieser Nacht beteten sie wieder alle und Varenka sagte: „Lieber Vater
im Himmel, heute Nacht musst du kommen und eine Mauer bauen, die so
hoch ist, dass kein Soldat mein Haus sieht; dann sind wir alle gerettet.
Aber ich fürchte, es ist schon sehr spät; morgen werden die Soldaten hier
sein und wir sind alle verloren.“
In dieser Nacht war es sehr still. – Doch in der stillsten Stunde war ein
leiser Ton um Varenkas Haus. Varenka öffnete vorsichtig das Fenster und
sah, dass Schnee fiel. So dicht war er schon gefallen, dass der Schnee bis
zum Fenstersims reichte. Es schneite die ganz lange Nacht und im
Morgengrauen war Varenkas kleines Haus ganz von Schnee bedeckt.
Am Mittag zogen die Soldaten durch den Wald und suchten nach Feinden.
In dem kleinen Haus saßen alle still beisammen. Als die Soldaten ganz
nah beim Haus waren, gingen sie vorüber. Sie hatten Varenkas kleines
Haus nicht gesehen. Stjepan, Pjotr, Bodula und Varenka dankten Gott,
dass er sie gerettet hatte.
Die Soldaten aber zogen weiter und es gab keinen Krieg mehr in diesem
Teil Rußlands.